Klares Wasser, byzantinische Kirchen und verwinkelte Altstadt-Gässchen: Ohrid gilt nicht nur bei den Bewohnern Südosteuropas als beliebtes Reiseziel. In Deutschland sind die mazedonische Stadt und der gleichnamige See jahrelang in Vergessenheit geraten.
Wir sitzen auf einer kleinen Bank auf einem Hügel, zu unseren Füßen liegt die schmucke Kirche des Heiligen Johannes von Kaneo, dahinter erstreckt sich der See. Außer uns sind nur zwei andere da, um den Sonnenuntergang über Ohrid zu beobachten, und sie scheinen von dessen surreal schönem Farbenspiel ebenso gebannt zu sein wie wir. Niemand spricht, minutenlang. Wir sitzen nur da und genießen die magische Ruhe dieses Ortes.
Im Frühling macht sich diese entspannte Atmosphäre überall in Ohrid breit. Auf dem Flanierweg am Seeufer, in einem der Café-Restaurants direkt am Wasser oder auf den Hügeln der Altstadt: Das mazedonische Tourismusziel lädt zum Innehalten und Zurücklehnen ein. Und zum Staunen: St. Johannes von Kaneo ist nur eines von zahlreichen Gotteshäusern in dem 42 000-Einwohner-Städtchen. 365 Kirchen soll es angeblich in Ohrid und Umgebung geben, für jeden Tag im Jahr eine. Und auch wenn das vielleicht ein bisschen übertrieben ist, legen die vielen Kirchen heute noch Zeugnis darüber ab, dass von hier einst die Christianisierung der Südslawen ausging.
Einst kulturelles Zentrum
Während die St.-Johannes-von-Kaneo-Kirche vor allem Fotografen anlockt, ist das 30 Kilometer von Ohrid entfernte Kloster St. Naum historisch weit bedeutender. St. Naum und St. Kliment verwandelten Ohrid im neunten Jahrhundert in ein kirchliches und kulturelles Zentrum. Heute ruht der Sarkophag des verehrten St. Kliment in der im byzantinischen Stil nachgebauten Sveti Kliment i Pantelejmon. Das Gotteshaus liegt inmitten einer archäologischen Ausgrabungsstätte, die Besucher auf eigene Faust erkunden können. Das gilt auch für den Rest der historischen Altstadt: Das Amphitheater, die Ruine der Samuil-Festung oder die Sophienkirche sind leicht zu finden - lediglich ein paar Höhenmeter müssen überwunden werden.
Wer sich die steilen Altstadt-Gassen hoch- und wieder ins Hafenviertel hinuntergearbeitet hat, hat sich ein ausgiebiges mazedonisches Mahl verdient. Schopska-Salat mit Gurken, Tomaten, Paprika und Salzlakenkäse sollte dabei nicht fehlen! Und ein Glas Rosé aus regionalem Anbau ist der perfekte Begleiter.
Es ist der Mix aus Kultur und Natur, der Besucher aus aller Welt anzieht. In der sozialistischen Ära war Ohrid schon einmal ein touristisches Zentrum, doch nach dem Ende Jugoslawiens blieben die Touristen fern. Mittlerweile hat sich die Branche erholt. "In den vergangenen drei Jahren ist die Zahl unserer Gäste aus dem Ausland um die Hälfte gestiegen", sagt Emilija, die Gästezimmer im Haus ihrer Eltern vermietet.
Vor allem das Wasser macht die Stadt so anziehend - schließlich ersetzt der See im Binnenstaat Mazedonien das Meer. Und er wartet mit einigen Besonderheiten auf: Zusammen mit dem südamerikanischen Titicacasee soll er der älteste See der Erde sein. Er gilt mit fast 300 Metern Tiefe als einer der tiefsten Seen Europas. Und mit der Altstadt von Ohrid gehört der See seit 1979 zum UNESCO-Welterbe. All das erzählt uns auch Ljubco, der uns in seinem kleinen Holzboot eine halbe Stunde lang herumschippert, in mehr oder weniger verständlichem Englisch. Wir sind aber nicht ganz aufnahmefähig für die Worte des Bootsmanns, zu gebannt sind wir von der glitzernden Schönheit des Sees. Dieses Blau! Irgendwo am Horizont, wo das Wasser fast mit dem Himmel verschmilzt, ist die gegenüberliegende Küstenseite zu sehen, die zu Albanien gehört.
Wir bleiben aber in Ohrid - schließlich gibt es noch das Nachtleben zu entdecken. Vor allem im Sommer können junge Balkan-Touristen und hippe Traveller aus aller Welt auch partytechnisch auf ihre Kosten kommen. Zur Sonnenuntergangszeit sammelt sich das Feiervolk in den Bars am Ufer, um sich mit ein paar Drinks einzustimmen, bevor es die Promenade entlang zu einem der Clubs auf der anderen Seite der Bucht geht.