Der ehemalige Premierminister und Kopf der eher unbedeutenden Partei VMRO-NP Ljubco Georgievski im Interview mit der Huffington Post.
Ljubco Georgievski, 51, gründete die VMRO-DPMNE-Partei und führte als mazedonischer Premier von 1998 - 2002 anerkannte Reformen im Land durch. Nachdem seine Partei 2002 die Wahlen verlor trat er 2003 auch als Parteivorsitzender zurück.
Während seiner Regierungszeit kam es Anfang 2001 zu den größten Unruhen in Mazedonien zwischen der albanischen und der slawo-mazedonischen Bevölkerung. Ein blutiger Bürgerkrieg konnte nur durch Intervention der internationalen Gemeinschaft verhindert werden.
Er gilt als ausgezeichneter Kenner der derzeitigen politischen Situation - erntet aber mit seinen gewagten Thesen über die Zukunft des Balkan nicht immer Begeisterung bei der internationalen Gemeinschaft.
Renate Flottau: Erst unter massivem Druck der USA war der mazedonische Präsident Djordje Ivanov bereit, dem bisherigen Oppositionsführer Zoran Zaev das Mandat zur Regierungsbildung zu erteilen. Begründet hatte er seine monatelange Weigerung mit einer angeblichen Gefährdung des Staates, wenn 3 albanische Parteien der Regierungskoalition angehören.
Eine berechtigte Angst?
Georgievski: Ich glaube eher, es war die Angst vor einer Strafverfolgung. Der Präsident, der bisherige Premier Nikola Gruevski und all jene Funktionäre der VMRO-DPMNE-Partei, die jahrelang ihr Amt mißbrauchten und nicht nur die Medien, die Gerichte und Institute kontrollierten sondern systematisch Politiker, Intellektuelle, Wirtschaftsleute - ja sogar die eigenen Minister abhörten wenn diese über kriminelle Geschäfte sprachen, müssen mit Ermittlungsverfahren rechnen. Über 50 000 Seiten illegale Abhörprotokolle liegen vor.
Renate Flottau: Im Jahr 2001, als es in Mazedonien zur bewaffneten Auseinandersetzung zwischen Albanern und Slawo-Mazedoniern kam, waren Sie als Premier anderer Meinung. Damals sagten Sie, bei den Forderungen der Albaner ginge es diesen vor allem darum, Territorium zu erobern.
Georgievski: So war es auch. Ich hatte seinerzeit um Blutvergießen zu vermeiden und weil die internationale Gemeinschaft geschlossen hinter den Albanern stand diesen sogar angeboten, die Gebiete um Tetovo, Gostivar und Debar dem Kosovo oder Albanien anzuschließen. Aber es kam niemals zu offiziellen Gespräche darüber - vielleicht auch weil der Widerstand bei vielen mazedonischen Politikern zu groß war und man mich als Verräter sah..
Renate Flottau: Extremistische albanische Politiker sollen damals auch die Hauptstadt Skopje gefordert haben...
Georgievski: Bei den Gesprächen, die ich mit den albanischen Vertretern führte, wurde dies nicht erwähnt.
Huffington:Die jetzige Forderung der albanischen Parteien, die albanische Sprache zur zweiten offiziellen Landessprache zu erheben, wird nahezu von alle mazedonischen Parteien abgelehnt. Warum eigentlich?
Georgievski: Weil es gleichbedeutend wäre mit einer Föderation und dies würde die politische Situation komplizieren. Ich glaube allerdings, daß diese Forderung vorerst vom Tisch ist. Wir werden vermutlich in einigen Regionen mit überwiegend albanischer Bevölkerung albanisch als amtliche Sprache - nicht als zweite offizielle Sprache im Land - einführen. In anderen Gemeinden wird ggf. bei Amtsgeschäften ein Dolmetscher zur Verfügung gestellt.
Renate Flottau: Dem Projekt „Großalbanien" - für viele in der Region ein Alptraum - standen Sie selbst stets positiv gegenüber. Sie sagten schon 2001 als Premier, ..."daß man darüber mutig nachdenken müsse".
Georgievski: Wir sollten realistisch sein. Die demografische Entwicklung der albanischen Bevölkerung steigt rasant. Heute haben wir vielleicht 25 - 30 % Albaner in Mazedonien. In 10 - 20 Jahren wird Mazedonien ein muslimanisches Land sein.
Von 180 000 Kindern, die in Mazedonien derzeit die Grundschule besuchen, lernen 60 000 in rein albanischen Schulen. Unsere unmittelbaren Grenznachbarn sind zu 50 % albanisch - Albanien und der Kosovo. Und natürlich haben diese Menschen gleicher Volkszugehörigkeit auch den Wunsch in einem gemeinamen Staat zu leben.
Renate Flottau: Aber das widerspricht ja nun allen Beschwörungen und rhetorischen Drohungen der Internationalen Gemeinschaft, man werde auf dem Balkan keine Grenzveränderungen akzeptieren.
Georgievski: Und das ist falsch. Immer mehr Analytiker geben mir mittlerweile recht, daß eine Beruhigung dieses Pulverfasses Balkan nur möglich ist, wenn die Grenzen auf einer internationalen Konferenz neu gezogen werden. Wir haben heute 3 Vereinbarungen, die einen Krieg beenden sollten und nicht funktionierende Staaten hinterließen: Mit dem Dayton-Frieden 1995 wurde der Bosnien-Krieg beendet und der „einheitliche" Staat besteht nur auf dem Papier. 1999 wurde nach der Nato-Bombardierung Jugoslawiens in Kumanova ein Friedensvertrag geschlossen und die Kosovo-Frage ist bis heute nicht gelöst. 2001 beendeten wir dann die Unruhen in Mazedonien mit der Vereinbarung von Ohrid. Muß denn unbedingt Blut fließen bevor man den Tatsachen ins Auge sieht?
Renate Flottau: Und wie sollten die neuen Großstaaten aussehen?
Georgievski: Serbien erhält die Republik Srpska in Bosnien und den Nordkosovo, Albanien vereint sich mit dem restlichen Kosovo, möglicherweise einem Teil West-Mazedoniens und erhält evtl. auch das Presevo-Tal in Südserbien , Kroatien wird ebenfalls einen Teil Bosniens zugesprochen.
Huffington: Und das soll ohne erneuten Bürgerkrieg in Bosnien ablaufen - nach 100 000 Toten, in welchem vor allem die bosnischen Muslime um die Einheit des Landes kämpften?
Georgievski: Bosnien müßte eine territoriale Kompensation erhalten und auch finanziell entschädigt werden.
Renate Flottau: Herr Georgievski, wenn Sie diese Büchse der Pandora öffnen würden, dann gäbe es vermutlich eine Kettenreaktion die mehr in Brand setzen würden als nur den Balkan: Ungarns Minderheiten in Rumänien etwa oder auch jene Staaten innerhalb der EU, die den Kosovo wegen ihrer eigenen unzufriedenen Minderheiten und Angst vor deren Abspaltungs-Ideen bisher nicht anerkannt haben.
Außerdem: Wenn Sie einer Vereinigung der albanischen Bevölkerung nicht im Wege stehen wollen - warum haben Sie dann bei den Unruhen 2001 als Premier die Panzer auf die Straßen geschickt?
Georgievski: Diese Aufständischen - vor allem in Aracinovo - waren angeheuerte Rebellen, Paramilitärs, es waren keine Albaner.
Renate Flottau: Damals waren Sie nicht so zögerlich und beschuldigten die USA direkt, sie hätten den Albanern Waffen geliefert und US-Offiziere hätten die Aufständischen ausgebildet.
Georgievski: Ich will jetzt kein Land nennen - aber doch etwas klarstellen: 1999 hatte ich - im Gegensatz zu manchen anderen europäischen Ländern - die Natobombardierung Jugoslawiens unterstützt. 15 Tage vor der Kapitulation Milosevics willigte ich ein, daß Nato-Bodentruppen von Mazedonien aus operieren können. Im Gegenzug erhielten wir die schriftliche Zusicherung der Nato, daß man uns vor etwaigen Folgen des Krieges schützen werde. Als es dann 2001 zu Unruhen kam und uns niemand half, konnte ich als Premier nichts anderes tun als Mazedonien zu verteidigen. Zur Strafe wurde mir ein Visa für die USA verweigert - und das bis heute, während einige Kosovo-Politiker die für schlimmste Verbrechen verantwortlich sind, mittlerweile als gern gesehene Gäste nach Washington reisen.
Renate Flottau:Gibt es eine Erklärung warum die USA die Albaner so protegieren?
Georgievski: Viele vermuten, Amerika wolle sich damit einen wahren und loyalen Verbündeten in der Region sichern. Allerdings sollten wir nicht die Augen davor verschließen, daß auch der radikale Islam rücksichtslos auf den Balkan drängt. Und Europa sieht tatenlos zu. Vor 20 Jahren war Albanien, wenn wir von Religion sprechen, ein sehr tolerantes Land. Dies ändert sich zusehends. Und ich bin nicht sicher, wenn sich Tirana oder der Kosovo in 10 Jahren zwischen Amerika und Saudi Arabien entscheiden müssen welche Wahl sie treffen werden.
Renate Flottau: Wir sprechen immer von der islamischen Gefahr. Werden einige Länder auf dem Balkan sich nicht bald auch zwischen der EU und den USA entscheiden müssen? Der Vorsitzende der Europäischen Kommission Jean Claude Juncker beschuldigte Washington unlängst, es sporne die Balkanländer zum Krieg an. Immerhin hatten hochrangige US-Politiker europäische Länder aufgefordert, dem britischen Beispiel des Brexit zu folgen.
Georgievski: Ehrlich gesagt, unsere Bevölkerung kann die Politik der EU und auch der USA in den letzten 10 Jahre ohnehin nicht mehr nachvollziehen. Man will in Syrien den Diktator Assad stürzen und hofiert gleichzeitig die Monarchie in Saudi Arabien, die den Terrorismus in der ganzen Welt unterstützt. Wie wollen sie Syrien demokratisieren, wenn dort der radikale Islam nach Assad an die Macht kommt? Es gibt so viele geopolitische Entscheidungen, die wir hier nicht mehr begreifen.
Dazu gehört auch die katastrophale Entscheidung der EU, die Emigranten aus dem Nahen Osten nahezu unkontrolliert aufzunehmen und darauf zu hoffen, diese zu assimilieren. Ich fürchte eher, daß sich diese radikalisieren und eure Kultur verändern wollen.
Auch die wirtschaftlichen Reformen, die uns aufgedrängt werden, sind häufig sinn- und wirkungslos. Da verlangt die Weltbank, daß wir innerhalb eines Jahres 20 große Firmen entweder privatisieren oder liquidieren - egal, ob dann 20 000 Leute arbeitslos werden. Wer sich widersetzt, der gilt als Anti-Reformer und politischer Gegner. Die positiven Veränderungen in einigen Ländern wie Ungarn oder Tschechien geschahen doch nicht wegen erfolgreicher Reformen sondern weil diese Länder hohe Subventionen und finanzielle Unterstützung erhielten.
Renate Flottau: Ist es die Enttäuschung über die EU, daß sich so viele Länder in der Region wieder leichtsinnig dem russischen Einfluß unterwerfen? Oder läßt sich das Land von Serbien inspirieren, das auf 3 Hochzeiten tanzt - der emotionalen Verbundenheit mit Rußland, den verstärkten Kontakten zu China und dem verbalen Ziel einer EU-Mitgliedschaft - um im Fall eines Zerfalls der EU nicht „alternativlos" zu sein.
Georgievski: In Mazedonien ist die russische Variante noch nicht so ausgeprägt wie in Ländern, die dem ehemaligen Sowjetblock angehörten. In Bulgarien z.B. sind die alten Kader nie ganz verstummt. Aber es ist nicht allein Nostalgie, die Moskau für viele wieder interessant macht . Nicht wenige sehen in Rußland jetzt auch eine Schutzmacht gegen den islamischen Radikalismus. Solange Rußland nicht in Syrien aktiv wurde, konnte der dortige sogenannte „islamische Staat" ungestört agieren. Aber, zugegeben, Moskau nützt natürlich auch jede Möglichkeit, seinen Einfluß in der Region zu verstärken.
Renate Flottau: 2/3 der Mazedonier haben angeblich bereits eine doppelte Staatsbürgerschaft. Konkret bedeutet das, daß sie nicht an ein Überleben des Landes glauben. Bei den Unruhen 2001 standen Nachbarländer wie Griechenland, Bulgarien und Serbien bereits in den Startlöchern, um Mazedonien unter sich aufzuteilen...
Georgiewski: Die meisten Albaner besitzen neben der mazedonischen auch die albanische Staatbürgerschaft, oft auch die schweizerische oder deutsche.
Mazedonier haben überwiegend die bulgarische Staatsbürgerschaft beantragt. So kommen sie leichter nach Europa, da Bulgarien ja EU-Land ist.
Aber natürlich spielt hier auch die Angst vor der künftigen politischen Entwicklung eine unterschwellige Rolle. Einen Zerfall oder territoriale Ansprüche von Nachbarstaaten sehe ich derzeit nicht. Immerhin sind wir größer als Slowenien und da fragt niemand nach dessen Überlebenschancen.
Renate Flottau: Der designierte Premier Zaev von der Sozialistischen Partei SDSM wird nicht nur gegen eine starke Opposition kämpfen müssen, die sich für ihren Machtverlust mit Blockaden und Störmanövern revanchieren wird sondern muß auch mit Erpresssungsversuchen der albanischen Koalitionspartner rechnen, wenn diese ihre Ziele durchsetzen wollen. Scheren die albanischen Parteien aus der Regierung aus, würde die sozialistisch/albanische Koalition mit derzeit 67 Sitzen im 120-köpfigen Parlament ihre Mehrheit verlieren. Kann man mit solchen Fesseln überhaupt das Land reformieren und demokratisieren?
Georgievski: Natürlich dürfen die albanischen Parteien mit ihren Forderungen nicht übertreiben. Aber wenn Mazedonien Nato-Mitglied wird und die Gespräche für einen EU-Beitritt beginnen, wird es in einigen Jahren ein stabiles und friedliches Land sein. Ich denke, daß der neue Premier auch bei der Namens-Streitfrage flexibler sein wird- dem bisher größten Hindernis für unseren Beitritt in die Nato und EU.
Jede andere Alternative wäre ein Fortschreiten der Desintegration und ein auf Dauer nicht funktionierender Staat.